Historische Ereignisse und historische Personen - diese Konstellation sollte der Nachwelt im Geiste erhalten bleiben.
Hier ein Kommentar von Luis Trenker zur Matterhorn - Nordwand Winterbegehung.
Zitat : " Welt am Sonntag " vom 4. März 1962
Viele Wege führen zum Gipfel des Matterhorns; aber den schwierigsten, den durch die Nordwand, hatte noch keiner bewältigt.
Die Nordwand ? Unbesteigbar ?
Sie war jetzt die große Herausforderung des Berges. Und die ersten Alpinisten, die diese Herausforderung annahmen, waren die Münchner Brüder Toni und Franz Schmid.
Die erste Nacht verbringen sie im Zelt bei Schneeregen am Fuß der Wand. Um Mitternacht klart das Wetter auf. Sie lassen einen Zettel mit Namen und Datum, 31.Juli 1931, im Zelt zurück.
Als sie um 1 Uhr nachts an der Hörnlihütte vorbeikommen, bitten sie den Wirt : " Sag`s den Touristen, die über den Schweizer Grat aufsteigen, daß sie vorsichtig sein mögen; sie sollen keine Steine in die Wand herablassen. "
Um 2 Uhr steigen sie in die Wand ein, in die Nordwand des Matterhorns. Drohend hängt Ungewißheit über ihnen. Mächtige Felsbrocken fliegen über ihre Köpfe hinab. Eis kracht unter dem Pickelschlag. Kalter Wind pfeift.
Toni und Franz Schmid kämpfen sich empor. Als wieder die Nacht hereinbricht, hocken sie sich auf ein schmales Felsband. Kein Licht, kein Schlaf, durchnäßte Kleidung - nach 8 Stunden, in der ersten Dämmerung, schälen sie sich aus den eiserstarrten Schlafsäcken. Noch 12 Stunden müsen sie weiterklettern; und buchstäblich auf dem Bauch kriechend, erreichen sie am 1. August den Gipfel.
Blitz Hagel und Sturm toben; und der Preis für ihren Sieg ist Donner und Gewitter.
Wortlos reichen sich die Brüder die Hand.
Die Nordwand ist bezwungen.
Doch ist sie wirklich die schwierigste Wand des schroffen Berges ?
Jetzt ist immer noch die Ostwand unerstiegen. Und jetzt sind die Italiener an der Reihe.
Luis Carrel, ein Nachkomme jenes Jean Antoine Carrel, der das Matterhorn zuerst angriff, und der Schriftsteller Mazzoti aus Venedig meistern auch diese Route.
Nach haarsträubend gefährlicher, abenteuerlicher Kletterei und zwei schlaflosen Biwaknächten stehen sie am19. September 1931 um 9 Uhr morgens auf dem Gipfel.
Die Ostwand wird vom Steinschlag durchhagelt. Wer sie durchklettert, spielt Hasard.
Die Ost - wie die Nordwandbegehungen wurden nur selten wiederholt. Und größeres Aufsehen als das Matterhorn fand dann der Eiger mit seiner Nordwand; und die erste winterliche Begehung der Eiger - Nordwand durch Hiebeler, Kinshofer und Manhard gab dann den Anstoß, das Matterhorn wieder in den Blickpunkt einer breiten Öffentlichkeit zu setzen.
Wer bezwingt auch die Matterhorn - Nordwand zuerst im Winter ? Das war die Frage, als dieses Jahr, das Jahr 1962, anbrach.
Ein wahres Wettrennen begann.
Der winterliche Sturm auf die Matterhorn - Nordwand zwang alle Angreifer zu außerordentlichen, einmaligen Leistungen. Die ersten Seilschaften mußten nach härtesten Strapazen aufgeben und aus der Wand zu den Graten und zur Solvayhütte ausweichen.
Aber das Signal war gegeben.
Und am 4. Februar konnten Millionen Menschen in " Welt am Sonntag " lesen : " Kampf in der Eiswand "
- drei Seilschaften waren am Samstag bei bitterer Kälte in die Nordwand eingestiegen.
Die sieben Mann haben in der Hörnlihütte auf günstiges Wetter gewartet. Jetzt herrschen Sonnenschein und Windstille. An der Spitze klettert der Schweizer Hilti von Allmen und Paul Etter.
In einem Kamin im unteren Drittel der Wand hat Hilt von Allmen seine Steigeisen verloren. Doch jetzt ist an ein Aufgeben nicht mehr zu denken. Weiter geht es. Ohne Steigeisen muß Hilti von Allmen seine Hände im wenig griffigen Eis über Gebühr beanspruchen ( und das führt leider zu erheblichen Erfrierungen )
Über den Häuptern hängen Schneewächten und Eisblöcke. Die mörderische Kälte treibt das Blut aus Händen und Füßen. Unmöglich zu beschreiben ist es, welche Konzentration die Bergsteiger hier Stunde für Stunde, bei jedem Schritt, bei jedem Tritt pausenlos aufbringen müssen. Ich glaube, man muß das einmal betonen :
wie sehr Bergsteigen nicht bloß eine Frage der Muskelkraft, der Schwindelfreiheit und des Mutes ist - es ist vor allem auch eine Sache der Intelligenz, der unerschütterlichen Selbstdisziplin, der ständigen Selbstüberwachung.
Einwohner, Bergführer und Kurgäste Zermatts blicken voll Sorge die Nordwand hinauf. Das Wetter wird schlechter. Aber am Nachmittag steht fest :
Hilti von Allmen und Paul Etter sind oben; haben das Gipfelkreuz erreicht; zum ersten Male ist die Matterhorn - Nordwand auch im Winter besiegt.
Und die anderen fünf ?
Die österreichische Seilschaft Krempke/Schlömmer und die deutschen Siegert, Bittner und Kauschke sind den Blicken der Beobachter entzogen. Sie müssen noch eine Nacht biwakieren. Und jetzt verhüllen Sturmwolken den Berg.
Der Wind schlägt den Bergsteigern schmerzende Eisnadeln ins Gesicht, raubt die Sicht, behindert das Atmen, zerrt mit wilden Stößen an den Menschen, die auf winzigen Tritten in der Wand stehen, droht sie aus der Wand zu werfen ...
Doch die Männer sind stärker als der Berg und das unheilvoll ihm verbündete Wetter.
Am Montag, dem 5.Februar 1962, stehen auch die Österreicher und die Deutschen auf dem Gipfel.
Als das Wetter wieder aufgeklart und die sieben Mann abgestiegen waren, wurden sie in Zermatt im Triumph empfangen.
Man fragte die Deutschen, wie sie es fertiggebracht haben, trotz des eisigen Sturmes am Montag noch den Gipfel zu erreichen.
Bittner antwortete : " Wir waren gut ausgerüstet und kletterten behutsam. "
Erst als er sich in der Solvayhütte die Schuhe auszog, hatte Bittner bemerkt, daß seine Füße erfroren waren. Und warum, so wurde er jetzt in Zermatt gefragt, hatten er und seine Bergkameraden sich in den Kopf gesetzt, die schwere Wand ausgerechnet im Winter zu durchsteigen ?
Bittner, der wie die beiden anderen Deutschen, früher in Dresden zu Hause waren,
sagt : " Ich glaube, man will sich selber prüfen, um herauszubekommen, ob man zu den Guten gerechnet werden kann. "
Nun, ich habe Hilti von Allmem im vergangenen Sommer kennengelernt. Wir rekognoszierten das Eigermassiv; Hilti von Allmen soll in einem schon seit drei Jahren geplanten, aber noch nicht zur Ausführung gekommenen Film unter dem Titel " Sein bester Freund " die Rolle eines Bergführers spielen.
Ich kenne Hilti gut und ich weiß auch von Bittner und anderen, die in diesem Winter die Matterhorn - Nordwand erstürmt haben - sie gehören nicht nur zu den Guten, sondern zu den Besten ...
Das Matterhorn ist nunmehr vollends erobert, über alle Grate, alle Wände - nun auch im Winter.
Doch dieser einzigartig schöne, schroffe Berg hat an Faszination nichts verloren. Zu Zehntausenden strömen die Menschen herbei, ihn zu sehen; und im Sommer besteigen sie zu Hunderten den Gipfel.
Die Ersteigung des Horns über den Schweizer Grat erfordert heute kein besonderes bergsteigerisches Können mehr. In Begleitung eines Bergführers kann ein Mensch mit gesundem Herzen, etwas klettertechnischer Übung und Schwindelfreiheit ohne weiteres die Ersteigung wagen.
Die Routenführung, Wetterbeobachtung und Sicherung übernimmt in verläßlicher Weise der Führer, der freilich, wenn die Wetterbedingungen es ihm geraten erscheinen lassen, seinen Touristen auch etwas zur Eile antrieben muß.
Oberhalb der etwa 3800 m hoch in die Felsen gebaute Solvayhütte sind an dem steilen Grat, der zum Gipfelaufbau gehört, starke Taue angebracht. Das Steigen und Sichern wird so erleichtert.
Am 4. September 1961, einem Sonntag, standen 180 Menschen auf dem Matterhorn - Gipfel. Man bedenke : 180 an einem einzigen Tag !
Sie bewunderten die umliegende Pracht der Walliser Giganten, vom Jungfraumassiv bis zum Montblanc. Und vielleicht haben einige von ihnen nicht nur den Blick über die herrliche, majestätische Landschaft, sondern auch die Gedanken schweifen lassen - fast hundert Jahre zurück, zu Edward Whymper, der das Matterhorn im Wettlauf mit Jean Antoine Carrel zum ersten Male bezwang, der den Touristen unserer Zeit den ersten Weg bahnte.
Und vielleicht blicken die Touristen beim Aufstieg einmal kurz über den Grat in die Nordwand. Es ist ein Blick, der einem kalte Schauer über den Rücken laufen läßt. Dort hinunter sind die 4 Gefärten Whympers beim Abstieg gestürzt. Und dort hinauf sind die Münchner Brüder Schmid und jetzt auch die sieben wagemutigen Winterkletterer gekommen. Durch eine eisgepanzerte Schattenwand!
Ein großes Kapitel der Alpinistik ist zu Ende.Ich glaube : eines der größten. Doch der Berg selber ist davon unberührt geblieben; man hat ihn bezwungen, aber nicht seiner Majestät beraubt. Wie eh und je steht er über den Tälern und zieht die Menschen, von weither lockend, ehrfurchtgebietend in seinen Bann.
Ende des Zitates von Luis Trenker.
Weiters Zitat der Presse.
Dabei wurde der Erfolg der Schweizer neidlos anerkannt :
" Die Schweizer legten ein Tempo vor ", sagten die beiden Österreicher Schlömmer und Krempke, "
daß wir nicht mithalten konten.
Obwohl wir in gewissem Sinne davon profitierten, daß sie Tritte und gelegentlich Haken zurückließen, die wir benutzen konnten. "
Erst am Mittwoch wurde übrigens bekannt, daß die beiden siegreichen Schweizer am Sonntag die Solvayhütte nicht mehr erreicht hatten und rund 100 m tiefer unter der Hütte nochmals biwakieren mußten; sie hatten im wütenden Sturm die Hütte nicht gefunden.
Ende Zitat.